Geschichte der Jugendweihe

... über 165 Jahre Jugendweihe

Die Epoche der Aufklärung

Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts veränderte sich die Welt rasant. Wissenschaft und Technik machten große Sprünge, und viele glaubten: Jetzt beginnt das Zeitalter der Vernunft.
Die Idee: Der Mensch kann über sein Leben und die Natur selbst bestimmen – wenn er den Mut hat, seinen eigenen Verstand zu benutzen.

Der Philosoph Immanuel Kant fasste es so:

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.
Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“

Kant beschäftigte sich damit, wie wir erkennen, was wir erkennen können – und was nicht. Er dachte auch darüber nach, wie ein dauerhafter Frieden zwischen den Menschen möglich wäre. Ziel war das Glück jedes Einzelnen und eine bessere Gesellschaft für alle.

In Frankreich griffen Denker wie Voltaire alte Machtstrukturen an. Er kritisierte die Willkür von Königen und die Macht der Kirche.
Auch Herrscher im Heiligen Römischen Reich handelten reformorientiert: Friedrich II. von Preußen und Kaiser Joseph II. schafften die Leibeigenschaft ab, beendeten die Folter und schränkten die kirchliche Macht ein. Sie erklärten alle Glaubensrichtungen für gleichwertig.

Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 brachte diese Gedanken auf den Punkt:

„Alle Menschen sind gleich geschaffen. Sie haben Rechte wie Leben, Freiheit und das Streben nach Glück.“

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit

„Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ – das war das Motto der Französischen Revolution von 1789.
Mit der Industriellen Revolution änderte sich das Leben rasant: James Watt erfand 1765 die Dampfmaschine. 1819 überquerte der erste Dampfer den Atlantik, 1835 fuhr die erste Eisenbahn in Deutschland von Nürnberg nach Fürth. 1837 kam der Telegraf von Samuel Morse – die Welt rückte enger zusammen.

Auch die Kirchen blieben von den Ideen der Aufklärung nicht unberührt. Seit dem März-Edikt von 1847 durften Menschen in Preußen aus der Kirche austreten. Aus diesem Geist entstanden freireligiöse Gemeinden – unabhängig von der Amtskirche, mit eigenen Festen und dem Grundsatz, dass der Mensch und die Natur höchste Autorität haben. 1848/49 gab es in Deutschland schon 400 solcher Gemeinden mit rund 180.000 Mitgliedern.

In diesem Umfeld entstand die erste Jugendweihe.
Als ihr Gründer gilt Eduard Baltzer – Demokrat, Pfarrer, Abgeordneter der ersten Deutschen Nationalversammlung 1848 und engagierter Reformer. Er gründete unter anderem einen Kindergarten in Schweina bei Bad Salzungen.

1852 führte Baltzer, als Alternative zur kirchlichen Konfirmation, erstmals eine weltliche Feier für Jugendliche durch – die Jugendweihe. Der Begriff setzte sich aber erst Ende des 19. Jahrhunderts durch, unterstützt von Arbeitervereinen, Freidenkern und der Sozialdemokratie.

Im Kaiserreich blieb die Teilnehmerzahl zunächst klein. Doch die Bewegung wuchs – trotz Überwachung durch Kirche und Polizei. Immer mehr Jugendliche nahmen an den Vorbereitungsstunden und Feiern teil.

Von der Weimarer Republik bis zur Nachkriegszeit

In der Weimarer Republik garantierte die Verfassung Religionsfreiheit. Dadurch stieg der Anteil Jugendlicher, die an einer Jugendweihe teilnahmen, je nach Region auf 10–39 Prozent. Wo keine Jugendweihe stattfand, gab es oft Schulentlassungsfeiern.

Einen Aufschwung brachte die Unterstützung durch „proletarische Freidenker“ und freigeistige Bewegungen wie die Freidenker-Gesellschaft Hamburg oder das Kartell der freigeistigen Vereine Frankfurt am Main. Sie setzten sich für die Trennung von Kirche und Staat ein. Manche verbanden die Jugendweihe mit politischen Zielen, andere stellten die pädagogische Arbeit in den Vordergrund.

Allen gemeinsam war: Junge Menschen sollten in Vorbereitungskursen, bei Sport und Spiel auf das Leben vorbereitet werden. Humanistische Werte wie Wahrheitssuche, Dankbarkeit, Hilfsbereitschaft, körperliche Stärke und Einsatz für Frieden standen im Mittelpunkt.

In den 1920er-Jahren entwickelten die Anbieter unterschiedliche Schwerpunkte.

Pädagogen wie Edwin Hoernle sahen die Jugendweihe als Möglichkeit, Arbeiterkinder zu fördern, zu gemeinschaftlichem Handeln zu motivieren und politisch zu bilden.

Die proletarischen Freidenker betonten Aufklärung, ästhetische Erziehung und die Herauslösung aus dem Religionsunterricht.

Für andere war sie einfach eine feierliche Schulentlassung.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurde die Jugendweihe verboten. Viele ihrer Vertreter wurden verfolgt, inhaftiert oder ermordet. Die NS-Feiern, die an ihre Stelle traten, hatten mit der ursprünglichen Jugendweihe nichts zu tun.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs organisierten sich die Freidenker neu. Schon 1946/47 fanden die ersten Jugendweihen wieder statt. In den westlichen Besatzungszonen stieg die Teilnahme stark an:

1948 nahmen in Berlin 3.800 Jugendliche teil

1949/50 in Hamburg 2.900

1953 waren es 3.020

In der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) dagegen wurde die Bewegung bald behindert und schließlich verboten, obwohl bis 1948 allein in Thüringen über 2.200 Jugendliche an 45 Feiern teilgenommen hatten.

Zur Zeit der zwei Deutschen Staaten

In den 1950er-Jahren wollte die SED-Führung einerseits Konflikte mit der Kirche vermeiden, andererseits keine unabhängigen Jugendbewegungen neben der FDJ und der Nationalen Front zulassen. Hochburgen der Jugendweihe gab es vor allem dort, wo Humanisten, Freidenker und freireligiöse Gemeinden aktiv waren – etwa in Hamburg, Hannover, Berlin, Leipzig, Jena, Dresden, Nordhausen, Wismar und Lüneburg.

In Westdeutschland nahm die Zahl der Teilnehmer in den 1950er- und 1960er-Jahren ab. Es fehlten Strukturen, um die Feiern dauerhaft zu organisieren. Freidenker hatten zudem Schwierigkeiten, ihre Ideen öffentlich zu vertreten und mit sozialistischen Zielen zu verbinden. Die SPD bemühte sich gleichzeitig um ein besseres Verhältnis zur Kirche. Jugendweihe-Anbieter im Westen wurden oft pauschal als vom Osten gesteuert kritisiert. Trotz dieser Hürden gab es auch dort weiterhin Jugendweihen und Vorbereitungskurse.

In der DDR suchte die SED ab 1951 verstärkt nach Wegen, ihren Einfluss auf die Jugend zu vergrößern. 1954 beschloss das Politbüro, einen Zentralen Ausschuss für Jugendweihe zu gründen. Prominente wie Johannes R. Becher, Anna Seghers und Stephan Hermlin unterzeichneten einen Aufruf zur Teilnahme. Die Jugendweihe sollte nicht nur ein Fest sein, sondern gezielt politische Erziehung vermitteln – unterstützt durch Freizeit-, Sport- und Bildungsangebote.

Die Vorbereitungskurse behandelten Themen wie:

Wie ist das Leben entstanden?

Wie lernte der Mensch, die Natur zu beherrschen?

Hat die Erde genug Brot für alle?

Wie wird unser Land im Jahr 2000 aussehen?

Die Feier selbst wurde zu einem öffentlichen Bekenntnis zum Sozialismus und zur DDR. Im Gelöbnis hieß es:

„Seid ihr bereit, als junge Bürger unserer Deutschen Demokratischen Republik mit uns gemeinsam […] für die große und edle Sache des Sozialismus zu arbeiten und zu kämpfen […] so antwortet: Ja, das geloben wir!“

Die Teilnahme stieg schnell:

1955: 17,7 % aller 14-Jährigen

1965: 88,5 %

1985: 97,4 %

Neben politischem Druck trugen auch staatliche Zuschüsse und umfangreiche Feierlichkeiten zu diesem Anstieg bei. Die Jugendweihe wurde in der DDR zu einem großen Familienfest mit Gästen und Geschenken.

Nach der Wiedervereinigung Deutschlands

Mehr als 300.000 Ehrenamtliche engagierten sich für die Jugendweihe. Für die meisten stand nicht die politische Zielsetzung der DDR im Vordergrund, sondern der Wunsch, Jugendliche in einer wichtigen Lebensphase zu unterstützen. Sie wollten ihnen helfen, das Leben besser zu verstehen und Verantwortung für sich zu übernehmen.

Vor Ort waren die Feiern weitgehend frei von politischer Ideologie und orientierten sich an den Bedürfnissen von Eltern und Jugendlichen. Das erklärt, warum die Jugendweihe nach 1991 großen Zulauf bekam: Viele Eltern verbinden mit ihrer eigenen Jugendweihe positive Erinnerungen.

Gleichzeitig bleibt unbestritten, dass die Jugendweihe in der DDR auch Teil des Kultur- und Kirchenkampfes war. Sie sollte die bürgerlich-christliche Weltanschauung verdrängen und durch eine sozialistische, atheistische ersetzen. Ab den 1960er-Jahren wurde sie zum Staatsakt aufgewertet, um schon 14-Jährige auf die Ziele des Staates einzuschwören.

Ebenfalls unbestritten: Die Nichtteilnahme konnte in der DDR zu Nachteilen führen. Politische Hardliner, Schulbehörden und SED-Funktionäre nutzten dies, um oppositionell eingestufte Jugendliche vom Studium oder qualifizierten Berufen auszuschließen.

Jugendweihe – Tradition mit Zukunft

Die Jugendweihe lebt weiter, weil viele engagierte Menschen sie als würdigen Übergang vom Kind zum Erwachsenen erhalten wollten – unabhängig von der Politik der DDR. Schon im März 1990 begannen Reformer, eine neue Jugendweihe aufzubauen, die an die Traditionen vor 1933 anknüpft und sich von alten Strukturen löst.

Am 9. Juni 1990 wurde der Zentrale Ausschuss für Jugendweihe aufgelöst und der Interessenverband Jugendweihe e.V. gegründet. Landesverbände und Initiativgruppen übernahmen die Gestaltung der Feiern. Neben der Zeremonie gehören heute auch Jugendarbeit, Freizeitangebote und Reisen zum Programm.

Wichtige Träger sind der Jugendweihe Deutschland e.V., der Humanistische Verband, der Freidenkerverband und die Arbeiterwohlfahrt. Ihr Ziel: junge Menschen auf dem Weg ins Erwachsenenleben zu begleiten, humanistische Werte zu fördern und Toleranz, Gleichberechtigung sowie Gedankenfreiheit zu stärken. Die Jugendweihe ist heute fest als Familienfest in vielen Lebensgeschichten verankert.

Jugendweihe Sachsen-Anhalt – Gemeinsam Schritte ins Leben gehen

Seit vielen Jahren begleiten wir Kinder und Jugendliche auf ihrem Weg ins Erwachsenwerden – mit würdevollen Feiern, Bildungsprojekten und Freizeitangeboten. Ob Jugendweihe, Namensweihe oder Schulveranstaltung: Wir stehen für Verlässlichkeit, Erfahrung und ein wertschätzendes Miteinander.